Donnerstag, 16. Oktober 2008

überarbeitete version: literarische erörterung, thema 1, von julia


Literarische Erörterung – Thema 1
„Aber man muss doch seine Freude haben können an der Kunst.“-
„Man kann viel mehr haben an der Kunst, als seine Freude.“

Was ist die Kunst für die Menschen? Ist sie nur ein Zeitvertreib, zum Füllen der Lücken des Alltags, oder geht sie weit über das hinaus und hat die Macht, die Gesellschaft zu verändern? Gerhard Hauptmann spricht in einem seiner Theaterstücke genau dieses Thema an.
Zuerst einmal muss man den Begriff der „Kunst“ definieren. Kunst reicht von Literatur und Lyrik, über Film, Theater und Musik bis hin zu Malerei und abstrakten Skulpturen. Alle diese Formen können einen unterhaltenden und einen lehrenden Charakter besitzen.

Wenn ein Autor einen Text schreibt, dann kann er das aus verschiedenen Gründen tun. Sein Ziel wird es aber immer sein, möglichst viele Leser zu erreichen.
In der Unterhaltungsliteratur gibt es Romane und Komödien, die sich seitenweise mit wunderschönen Formulierungen schmücken, aus denen man jedoch keine – oder nur begrenzte – Lehren ziehen kann. Werke wie Joanne K. Rowlings „Harry Potter“ oder „Der Herr der Ringe“ von Tolkin sind sicherlich angenehm, um eine ruhige Tagesphase zu genießen, geben der Welt allerdings wenig an Kritik oder Verbesserungsvorschlägen.

Ähnlich ist es in der Lyrik. Viele Gedichte haben einen melodischen Klang, einen gut durchdachten Aufbau und sorgfältig ausgewählte Worte, zielen jedoch nur auf die Unterhaltung der Menschen ab. Große Dichter wie Goethe, Schiller oder Shakespeare schrieben Liebesgedichte, um vergangene, aktuelle oder zukünftige Lieben zu beschreiben, ohne auf eine dadurch verursachte Umwälzung der Gesellschaft zu hoffen.
Auch dass die Autoren häufig einfach ihre eigenen Leiden ausdrücken spricht dafür, dass die Kunst oder die Literatur nur der Unterhaltung dient. Sie legen ihre Gedanken dar ohne darauf zu achten, was sie preisgeben, und haben nebenbei ein Talent für die Sprache, sodass sie das, was sie ausdrücken möchten, angenehm verpacken können. Sie erzählen von Familien- und Beziehungsleiden oder davon, dass sie mit ihrer Umgebung und ihrem Leben nicht zurecht kommen. Wen interessieren schon die Probleme eines Herrn Goethe oder Herrn Brecht, egal wie sie formuliert sind? Wer liest so ein Buch, wenn nicht zum Zeitvertreib?

Ganz im Gegensatz dazu stehen Werke, die aktuelle Tatsachen oder gesellschaftliche und politische Besonderheiten und Probleme behandeln.
Es sind gesellschaftskritische Werke wie „Galileo Galilei“ von Berthold Brecht oder „Nathan der Weise“ von Lessing, hinter denen mehr Substanz zu stecken scheint. Sie verfolgen das Ziel, die Menschen auf Unstimmigkeiten in der gesellschaftlichen Ordnung hinzuweisen und wollen diese verbessern.

Brecht, der selbst von seiner Literatur sagt, dass sie immer einen Sinn haben muss und niemals ohne Grund geschrieben wird, behandelt in seinem Schauspiel den Konflikt von Staat und Kirche, außerdem die Blind- und Taubheit mancher Leute für neue Wahrheiten, weil das Alte bequemer zu sein scheint. Er berichtet die Geschichte der realen Persönlichkeit Galileo Galilei, der seine neuen Erkenntnisse in der Wissenschaft und Astronomie über Gestirne und ihre Anordnung der Menschheit präsentieren will, aber von den Vertretern der Kirche daran gehindert wird.

Ähnlich wird auch Lessings Ziel bei seinem Werk „Nathan der Weise“ gewesen sein. Er schildert den Konflikt der drei Weltreligionen und fordert gegenseitige Toleranz und ein friedliches Zusammenleben ihrer Anhänger. Allein die Tatsache, dass er diese Forderung nur verdeckt vorbringen kann zeigt, dass sein Werk nicht der Unterhaltung dienen sollte, sondern dass er damit eine Nachricht übermitteln wollte. Er versteckt das religiöse Thema in einer so genannten Ringparabel, in der 3 Ringe für die Religionen stehen, um deren Existenz gestritten wird, um die Gefahr eines Boykotts oder Verbots von Seiten der Regierung oder der Obrigkeit zu umgehen. Außerdem möchte er es seinen Lesern einfacher machen, den komplexen Konflikt der Religionen zu verstehen.

Diese Werke zeigen eindeutig, dass es den Autoren wichtig war, durch ihre Literatur eine Veränderung herbeizuführen und nicht nur die Menschen zu unterhalten.

Ein drittes Argument dafür, dass Kunst weit über den Unterhaltungsfaktor hinausgeht, zeigt der Einfluss, den sie auf die Leser ausübt.
Gut erkennbar ist dies an Goethes „Die Leiden des jungen Werther“. In Folge der Herausgabe des Tagebuchs von Werther, der im Verlauf der Handlung immer verrückter wird, gab es viele, die ihm nacheiferten und sich umbrachten, da sie sie sich so sehr in die Situation hinein versetzt hatten. Würden die Menschen die Literatur nur als Zeitvertreib verstehen, hätte sie wohl kaum einen so starken Einfluss auf sie, dass sie in den Selbstmord getrieben werden.

Dazu kommt, dass einige Werke von bekannten Autoren eine Zeit lang boykottiert wurden. Berthold Brecht wurde zur Zeit des Nationalsozialismus Opfer eines solchen Boykotts; außerdem wurden seine Bücher verbrannt. Wenn die Führung keine Angst gehabt hätte, dass diese Werke etwas bewegen können, dann hätten sie keine Notwendigkeit für diese Aktionen gesehen. So ging es vielen anderen großen Dichtern auch, die ihre Bücher nicht nur zur Belustigung der Menschheit schrieben, sondern etwas damit bewirken wollten.

Außer Frage hingegen steht, dass alle diese Bücher auch einen ästhetischen Charakter haben. Natürlich achteten die Autoren auf eine ansprechende Geschichte und wohl gewählte Worte als Verpackung des eigentlich kritischen Inhalts.

Was ist nun also die Kunst für die Menschen? Ist sie nur ein Zeitvertreib zum Füllen der Lücken des Alltags, oder geht sie weit über das hinaus und hat die Macht die Gesellschaft zu verändern?
Meiner Meinung nach geht die Kunst weit über einen Lückenbüßer für langweilige Stunden hinaus. Sie ist ein Mittel für die Menschen, um das auszudrücken, was sie bewegt. Sowohl hinter Literatur, als auch hinter Musik und Gemälden, Fotografien oder Filmen steckt eine Idee und eine Absicht eines Künstlers, die er an Andere weitergeben will. Nicht jedes Buch ist so anspruchsvoll und tiefgründig wie „Nathan der Weise“, „Die Leiden des jungen Werther“ oder „Galileo Galilei“; nicht jeder Autor besitzt die Fähigkeit, seine Gedanken so in Worte zu fassen, dass die richtige Botschaft bei den Menschen ankommt.

Allerdings ist es für mich sicher, dass hinter jedem Buch ein (versteckter) Hinweis, eine Kritik oder wenigstens ein Leiden steckt, das der Allgemeinheit mitgeteilt werden soll, und das viel mehr Bedeutung hat, als nur der Unterhaltung zu dienen.

„Aber man muss doch seine Freude haben können an der Kunst.“ heißt es in dem Zitat aus Gerhart Hauptmanns Theaterstück. Diese Aussage ist wohl wahr, denn egal wie ernst das angesprochene Thema ist und egal welche Notwendigkeit diese Ansprache besitzt, bringt es gar nichts, wenn es nicht in eine entsprechend schöne Form gebracht ist. Wer betrachtet schon gerne ein farbloses Bild, oder liest eine fade oder langweilige Geschichte ohne sprachliche Reize?
Man muss seine Freude daran haben, wie das Werk gestaltet ist, wie der Autor mit den Themen umgeht und sie in ein Gewand von Worten hüllt, die ihm allerdings nichts von seiner Wichtigkeit nehmen sollen.

„Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude.“, lautet die Antwort darauf. Die Betonung sollte hier auf dem kleinen Wörtchen „kann“ liegen, denn wer keine Lust hat, die Literatur in ihrer Schönheit zu würdigen und die vielschichtigen Themen wie die Religionstoleranz bei Nathan dem Weisen oder die neuen Wissenschaften von Galilei zu entdecken, für den wird die Literatur auch nie mehr als ein Unterhaltungsmedium werden.

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