Dienstag, 7. Oktober 2008

Textgebundene Erörterung, Thema 1: Die Frage, ob es einen Gott gibt

In Bertolt Brechts Text "Die Frage, ob es einen Gott gibt" fragt eine nicht namentlich genannte Person den in Brechts Kurztexten häufig vorkommenden Herrn K., ob es einen Gott gebe. In der Antwort des Herrn K. tritt ein Gottesbegriff auf, der im Folgenden zunächst untersucht und anschließend erörtert werden soll.
Herr K. erwidert auf die besagte Frage, er rate dem Fragenden, darüber nachzudenken, ob eine Antwort auf die Frage einen Einfluss auf sein Verhalten hätte. Wenn dies nicht der Fall wäre, könnten sie die Frage fallen lassen, wenn doch, könnte Herr K. dem Fragenden zumindest behilflich sein, indem er ihm sage, dieser brauche einen Gott.
Herr K. nimmt die Frage ernst und gibt eine gut durchdachte Antwort, aus der hervorgeht, dass seiner Ansicht nach die Frage nach der Existenz Gottes für die, bei deren Verhalten eine Gewissheit über die Antwort auf diese Frage keine Veränderungen bewirken würde, unbedeutend ist, und auf der anderen Seite die, deren Verhaltensweise sich durch diese Gewissheit verändern würde, einen Gott bräuchten. Der Begriff "Gott" wird auf diese Weise als eine moralische Instanz, als Gewissensersatz für die, die ohne Gottesvorstellung keines besitzen, verwendet. Diejenigen, die ihr Verhalten ändern würden, je nachdem, ob es einen Gott gibt, benötigen nach Herrn K. einen Gott beziehungsweise die Vorstellung eines solchen, um moralisch zu handeln.
Mit einem solchen Gottesbegriff sollen im Allgemeinen Menschen zu besserem Handeln angehalten werden, was besonders im Mittelalter sehr stark ausgeprägt war. Die Kirche bestimmte mehr oder weniger die öffentlichen Meinung und übte auf diese Weise Druck auf Individuen aus, die sich nicht den Sitten und Vorschriften entsprechend verhielten. Das konnte als wirksamer Ersatz für die damals teilweise nicht vorhandenen oder oft willkürlich ausgelegten Gesetze dienen. Eines der berühmtesten Negativ-Beispiele für diesen Meinungsdruck ist allerdings Galileo Galilei, dessen Exempel zeigt, wie dieser Gottesbegriff missbraucht werden kann. Die Mächtigen der damaligen Zeit waren entschlossen, das von ihnen vertretene geozentrische Weltbild als das einzig gültige durchzusetzen, und obwohl Galilei schlüssige Hinweise dafür vorlegte, dass die Sonne den Mittelpunkt unseres Sonnensystems bildet und nicht die Erde, wurden seine Erklärungen als ketzerisch abgetan. Er selbst musste seine Aussagen widerrufen; im Grunde dafür, dass er sich mit seinen Äußerungen gegen die vorherrschende Meinung gestellt hatte und kirchliche Lehrmeinungen offen anzweifelte.
Doch in Brechts Text gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass der Gottesbegriff des "Gewissens von außen" zu Zensurzwecken oder Ähnlichem missbraucht wird. Herr K. legt dem Fragenden lediglich nahe, auf diese Weise sein Verhalten zu analysieren, und dieses, falls nötig, zu ändern.
Allerdings könnte die Frage, ob es einen Gott gibt, auch ohne jegliches Interesse an der Bedeutung der Antwort für das eigene Verhalten gestellt worden sein. Gott wird im Allgemeinen nicht nur als allwissendes, bewertendes Wesen und damit als eine Art besseres Gewissen gesehen, sondern auch als Zuflucht; als Vater, der niemanden ablehnt. Gerade heutzutage gibt es unter anderem aus diesem Grund noch gläubige Christen, die trotz der modernen Wissenschaften, welche oft das, was in der Bibel steht, in Frage stellen, an Gott glauben.
Abschließend gesagt ist Herr K.s Antwort nicht darauf ausgerichtet, Gott zu einer moralischen Instanz zu degradieren. Sie soll den Fragenden und damit indirekt den Leser zum Nachdenken anregen: Jeder kann sich selber darüber Gedanken machen, was einem die Antwort auf diese grundlegende Frage bedeuten würde und sein eigenes Verhalten und damit in einem weiteren Sinne auch seine Handlungsmaxime überdenken.

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